Die Urmutter der Krokodile (E71 für Spur 0 Tinplate)

#1 von t.horstmann , 08.12.2019 00:15

Hallo allerseits,

gemeinhin gilt die ab 1919 ausgelieferte SBB Güterzuglok Ce 6/8 II unter den Lokomotiven als das Krokodil schlechthin. Mit einigen Veränderungen war dann die Ce 6/8 III ab 1926 ihre Nachfolgerin. Im folgenden Bild ist ein Modell des Krokodils Ce 6/8 II zu sehen:




Weniger bekannt ist hingegen, dass die AEG bereits im Jahre 1914 mit der EG 511 und EG 512 zwei elektrische Güterzugloks für die preußische Staatsbahn ausgeliefert hatte, die schon alle wesentlichen Merkmale dieses Loktyps aufgewiesen hatten! Damit müsste man die Lokbaureihe ab EG 511 eigentlich als Prototyp für die Lokomotivfamilie der Krokodile betrachten . Die Baureihe EG 511 bis EG 537 wurde später von der Deutschen Reichsbahn in E71 11 bis E71 37 umbenannt. Im nun folgenden Bild ist eine E71 für die Spur H0 von der Firma Roco dargestellt:

Die EG 511 und EG 512 wiesen im Jahre 1914 eine Reihe von damals modernsten technischen Merkmalen auf. "Auf Grund ihrer einfachen und robusten Konstruktion bewährten sich die Lokomotiven über Jahrzehnte und zählen zu den erfolgreichsten E-Loks aus der Anfangszeit der Elektrifizierung." (Vorstehendes Zitat aus Wikipedia - Preußische EG 511 bis EG 537) Die letzte E71 wurde erst 1959 ausgemustert (letztes Betriebsjahr 1958). Damit blickt diese Baureihe auf eine immerhin knapp 45-jährige Dienstzeit zurück.



Was um alles in der Welt hat das Bisherige aber mit der Spur 0 Tinplate zu tun?



Auch ich bin jetzt unter die Tinplate-Lokomotivbauer gegangen und habe ab Mitte diesen Jahres an einer E71 im Maßstab 1:45 gewerkelt. Von den Blecharbeiten her ist mein Erstlingsmodell seit Ende November fertiggestellt. Es steht noch die Lackierung des Gehäuses an. Das wird aber erst in der nächsten wärmeren Jahreszeit möglich sein. Da sich meine bisherigen Lackierungskünste in sehr engen Grenzen gehalten haben, sehe ich dieser Aktion noch mit einigen Kopfschmerzen entgegen. Nachfolgend ein paar Bilder der noch nicht durch mein Lackierungsgestümper verdorbenen Lok:





An dieser Stelle möchte ich mich bei all jenen ganz herzlich bedanken, die hier im Forum immer wieder ihre Bauberichte veröffentlicht haben! Dadurch konnte ich auf einen großen Fundus an Erfahrungen zurückgreifen, ohne mir erst selbst ein blutige Nase holen zu müssen. Ich bin selbst ganz überrascht davon, was mir mit Euren vielen wertvollen Tipps und einem stark aufgebesserten Werkzeugbestand möglich gewesen ist.

Ich habe mich dazu gezwungen, während der Bauphase immer wieder Fotos anzufertigen. (Das ist für mich immer noch nicht selbstverständlich, weil ich dem Zeitalter der aufwendigeren analogen Fotografie entstamme.) Falls Interesse besteht, könnte auch ich mit dem vorhandenen Bildmaterial einen Baubericht erstellen. Außerdem könnte ich über den wirklich sehr interessanten Loktyp E71 noch etwas ausführen.

Viele Grüße

Thomas


 
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RE: Die Urmutter der Krokodile (E71 für Spur 0 Tinplate)

#2 von Blechnullo , 08.12.2019 01:16

Hallo Thomas,

das ist ja ein wirkliches Prachtstück!

Gerne würde ich und wahrscheinlich auch einige Anderen hier Deinen Bericht zu diesem Kunstwerk lesen und natürlich die Bilder dazu sehen.

Das Urkrokodil E71 ist Dir super gelungen. Kaum zu glauben, daß dies Dein erstes Werk in Weißblech ist.

Hut ab, das kann sich sehen lassen! Einfach perfekt!

Gruß aus dem Saarland.

Rolf


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RE: Die Urmutter der Krokodile (E71 für Spur 0 Tinplate)

#3 von Eisenbahn-Manufaktur , 08.12.2019 06:21

Hallo Thomas, ich bin sprachlos! So eine schöne Lok!


Man nehme ein Stück Blech, und schneide alles weg, was nicht nach Lokomotive aussieht!

Klaus


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RE: Die Urmutter der Krokodile (E71 für Spur 0 Tinplate)

#4 von gote , 08.12.2019 08:46

Hallo Thomas
Also Du bist mir mal einer!
Da kommst Du einfach so um die Ecke und stellst uns ein solches Sahnestück auf den Tisch.
Ich habe mich schon über Dein Namensbildchen gewundert aber beim vergrössern nicht richtig schlau geworden.
Nochmals meinen grössten Respekt sehr schöne Ausführung aller Arbeiten bis zu den Lötnähten.
Eine Frage habe ich, was sind das für Motoren.
Bilder sind ein absolutes Muss bei diesem Prachstück.
Gruß Frank


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RE: Die Urmutter der Krokodile (E71 für Spur 0 Tinplate)

#5 von Fahri01 , 08.12.2019 09:20

Hallo Thomas,
eine klasse Arbeit.
Als Erstlingswerk würde ich den Wagenkasten nur mit einem Klarlack überziehen.
So kommen meines Empfindens nach die verschiedenen Bauteile am besten zur Wirkung.

Sonntägliche Grüße
Karsten


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RE: Die Urmutter der Krokodile (E71 für Spur 0 Tinplate)

#6 von t.horstmann , 08.12.2019 09:27

Hallo allerseits,

vielen Dank für die netten Komplimente!

Übrigens hat Felix 110 von 100 möglichen Punkten abkassiert. - Er hatte bereits kurz nachdem ich mein Profilbild geändert hatte erkannt, dass es eine E71 werden sollte. Und das war wirklich nicht einfach! Auf dem Bild handelt es sich noch um eine etwas unvollständige Stellprobe für den mittleren Lokkasten. Zu sehen war also sozusagen ein "Railster" (vorne Platz für 2 Personen und nach oben und hinten offen).

Als Motoren werkeln 2 Märklin H0 Antriebe aus der Märklin 3021. Da diese Nummer nur H0ern etwas sagt: Es sind die Antriebe der V200.

Ein Baubericht wird folgen. Vorher werde ich Euch aber wahrscheinlich noch mit geschichtlichen und technischen Details des Vorbildes ärgern, weil ich das bereits fertig skizziert habe.

Karsten, wie Recht Du hast! Dann würden meine beschränkten Lackierkünste auch nicht so auffallen. Aber irgendwann muss ich das auch mit dem Lackieren lernen - also bei dieser Lok. Inzwischen hat mir Felix auch schon viele wertvolle Tipps dafür gegeben. Dafür nochmals vielen, vielen Dank!

Viele Grüße

Thomas


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RE: Die Urmutter der Krokodile (E71 für Spur 0 Tinplate)

#7 von mike , 08.12.2019 11:11

Hallo Thomas,

einfach nur genial.
Als Erstlingswerk etwas was fährt und dann noch so perfekte Nietreihen, Fensterrahmen etc.
Freue mich auf den Baubericht

Viele Grüße Michael


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RE: Die Urmutter der Krokodile (E71 für Spur 0 Tinplate)

#8 von Schwelleheinz , 08.12.2019 12:21

Hallo Thomas,

sehr schön gemacht, hier unten im Dreiländereck gibt es auch so einen Bastler der die E71 in O aus Messing gebaut hat




Grüße vom Hochrhein,

Hans-Dieter

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RE: Die Urmutter der Krokodile (E71 für Spur 0 Tinplate)

#9 von t.horstmann , 08.12.2019 14:49

Hallo Hans-Dieter,

die von Dir gezeigten E71 haben selbstverständlich Finescale Qualität. Ich selbst war natürlich glücklich darüber, dass es Tinplate gibt. Für Finescale hätte der größere Maßstab von 1:45 nach wesentlich mehr Details geschrien. So war ich hingegen froh, teilweise wesentlich vereinfachen zu können. Ich muss sogar zugeben, an manchen Stellen regelrecht vorsätzlich grobe Vereinfachungen gemacht zu haben. - Bei Tinplate kommt es eben zum Glück nur auf die Betonung des Wesentlichen an.

Zumindest das untere Bild hattest Du vor ein paar Jahren schon einmal gezeigt. Es ist leider etwas bewegungsunscharf. Ich hatte es damals dem leider 2013 verstorbenen Horst Gebauer zugeordnet, der die E71 ebenfalls in Spur 0 gebaut hatte. Es ist mir jedoch unbekannt, ob er beabsichtigt hatte, es mit seiner Firma in Spur 0 Kleinserie aufzulegen. Da Du jetzt einen "Bastler" schilderst, müssen die beiden Modelle aber wohl doch von einem anderen Erbauer stammen.

Viele Grüße

Thomas

Nachtrag:
Der von mir gemeinte Horst Gebauer hatte eine kleine Firma für Finescale-Modelle und war langjähriges Mitglied der ARGE Spur 0. Soweit ich damals erfahren hatte, hatte er sich bei einem Brand in seiner Firma schwere Lungenverletzungen zugezogen, als er versuchte Urmodelle und Gussformen zu retten. Langfristig soll er dann an den Folgen dieser Lungenverletzungen im Jahre 2013 gestorben sein. Ein kurzer Nachruf findet sich noch unter https://forum.spurnull-magazin.de/spur-n...erstorben-4695/ . Wie inzwischen geklärt, ist der mittlerweile verstorbene Horst Gebauer aber nicht der Erbauer der von Hans-Dieter im vorangegangenen Beitrag gezeigten Modelle!

Es gibt eine Namensgleichheit. Ein Bekannter von Hans-Dieter heißt ebenfalls Horst Gebauer und erfreut sich weiterhin bester Gesundheit!


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RE: Die Urmutter der Krokodile (E71 für Spur 0 Tinplate)

#10 von Schwelleheinz , 08.12.2019 15:21

Hallo Thomas,

soviel ich weiß gibt es auch einen Horst Gebauer in unserer Gegend der Spur O Modelle in Messing baut.


Grüße vom Hochrhein,

Hans-Dieter

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RE: Die Urmutter der Krokodile (E71 für Spur 0 Tinplate)

#11 von Gelöschtes Mitglied , 08.12.2019 15:39

Die E71 und wie die E77 sind meinerseits mit der Muttermilch - und so weiter. Das waren die greif- und sichtbaren Stangen-E-Loks meiner Jugend.
Die E71 ist hier als Pappmodell und CAD für die Spur 1 schon entstanden, aber ich bin noch an den Triebwerken gescheitert. Zudem gibt es auch viele andere Projekte.
Daher - volle Bewunderung und sehr schön! Ich bin auf die Technik gespannt. Meine Probleme waren, den klassischen Märklin-Antrieb in das Gehäuse zu fummeln und dabei noch einen Drehpunkt in der Ebene der Kupplung unter zu bekommen. Allerdings habe ich Spur-1-Teile von Thul geplant. Ich hätte Spur-0-Triebwerke nehmen sollen und dann vielleicht zwei. Aber die Erkenntnis reift ja meist später und länger.


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RE: Die Urmutter der Krokodile (E71 für Spur 0 Tinplate)

#12 von ElwoodJayBlues , 08.12.2019 16:04

Hallo Thomas,

wie schon gesagt, Glückwunsch!

Die Lok ist echt gug gelungen und das Vorbild ist meiner Meinung nach auch eine hervorragende Wahl für Tinplate!

Bin schon gespannt auf das Endergebnis.

Gruß

Felix


"Das Land steckt in einer Krise, Johnny!"
"Wir latschen von einer Krise in die nächste..."

- Robert Redford -


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RE: Die Urmutter der Krokodile (E71 für Spur 0 Tinplate)

#13 von Märklinist1971 , 08.12.2019 20:34

Hallo Thomas

Ich gratuliere dir zu dieser wunderschönen Lokomotive. Ich freue mich schon auf deinen Baubericht mit Bildern.

Viele Grüße aus Graz
Josef


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RE: Die Urmutter der Krokodile (E71 für Spur 0 Tinplate)

#14 von ReinerDD , 08.12.2019 22:04

Glückwunsch zu einer wirklich tollen Lok!


Warum ist das alles so –? Weil sie uns nicht lange genug mit unserer Eisenbahn haben spielen lassen. (Kurt Tucholsky)


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RE: Die Urmutter der Krokodile (E71 für Spur 0 Tinplate)

#15 von t.horstmann , 11.12.2019 00:13

Hallo,

wie bereits in Beitrag #6 angedroht, möchte ich in den folgenden Beiträgen zunächst noch einige vorwiegend geschichtliche und technische Details der Vorbildlok E71 vorstellen. Da dies recht lang geworden ist, habe ich folgendermaßen unterteilt:

A) Eine Definition des Loktyps "Krokodil"?
B) Einsatzgeschichte der EG 511 - EG 537 (E71)
C) Einige technische Details der EG 511 - EG 537 (E71)
D) Einige technische Details Schweizer E-Loks aus der Epoche der E71
E) Die E71 im Modell
(Das ist noch nicht mein Baubericht!)

Ich werde die 5 Abschnitte auf 5 Beiträge verteilen und beginne in diesem Beitrag mit A).

Wer geschichtlich oder technisch nicht sonderlich interessiert ist, sollte höchstens diesen Teil A) und bestenfalls noch E) lesen, hingegen die Teile B) bis D) schon wegen ihrer Länge lieber überspringen, zumal B) bis D) nicht oder schwach bebildert sind!






A) Eine Definition des Loktyps "Krokodil"?

Da es sich bei dem Begriff "Krokodil" um einen Spitznamen aus dem Volksmund für einen Loktyp handelt, kann es natürlich keine Definition geben. Jeder kann den Begriff nach Belieben eng eingrenzen oder auch stark ausdehnen. Ein Streit darüber wäre müßig. Ursprünglich wurde der Begriff sicherlich für die Gotthardlok SBB Ce 6/8 II geprägt, und zwar wegen ihrer extrem lang und schmal verkleideten Drehgestelle. Sie dürfte also namensgebend für die Lokomotivfamilie der "Krokodile" gewesen sein. Im folgenden Bild ist die Ce 6/8 II oben als Modell dargestellt. Ich habe sie so fotografiert, dass man die Beweglichkeit der Vorbauten erkennen kann. Da wir es in unserem Forum mit alten Modellbahnen zu tun haben, habe ich darunter auch noch das Replikat der Märklin CCS 66/12920 von der Firma Hehr dargestellt. Es ist eine Tinplate-Lok in Spur 0 mit reduzierter Achszahl:
(Abb.1)

Wenn der Begriff des Krokodils sehr weit gefasst wird, wird auch die kurze und lediglich zweiachsige E69 noch als "kleines Krokodil" bezeichnet. Rechts im Bild befindet sich die Tinplateversion Märklin RV 12890 in Spur 0:
(Abb.2)

Selbst bei sehr enger Auslegung des Begriffs Krokodil gehört die EG 511 - EG 537 (E71) dieser Familie an, weil sie alle typischen Merkmale der SBB Ce 6/8 II aufweist. Dazu gehören die als Drehgestelle ausgebildeten abgeflachten Vorbauten, der Mittelteil mit mittig angeordnetem Hochspannungsteil und angrenzenden Führerständen, die Kurzkupplung der Drehgestelle untereinander sowie letztlich sogar der Stangenantrieb. Da die direkt auf den Drehgestellen montierten Vorbauten erstmals bei der EG 511 auftauchten und die Lok außerdem eine um Jahre ältere Konstruktion als die SBB Ce 6/8 II ist, ist man befugt, die E71 als die "Urmutter der Krokodile" zu bezeichnen:
(Abb.3)


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RE: Die Urmutter der Krokodile (E71 für Spur 0 Tinplate)

#16 von t.horstmann , 11.12.2019 00:15

B) Einsatzgeschichte der EG 511 - EG 537 (E71)

Im Jahre 1912 hatte die Preußische Staatsbahn zunächst den Auftrag für 18 B'B'-Güterzugloks an die AEG vergeben. Der Auftrag wurde bis 1914 auf insgesamt 46 Loks erweitert. Die ersten beiden Loks - EG 511 und EG 512 - wurden dann 1914 ausgeliefert. Sie waren für das mitteldeutsche Streckennetz zwischen Dessau und Leipzig bzw. Halle vorgesehen. Die Loks waren für die Beförderung von Güterzügen bis 1000 t im eher flachen Land bestimmt. Die Höchstgeschwindigkeit betrug 50 km/h. Wegen Ausbruchs des 1. Weltkrieges wurde der elektrische Zugbetrieb in Mitteldeutschland unverzüglich eingestellt. Auch die Lokomotivbauer mussten zeitlich unbestimmte Verzögerungen für bereits erteilte Aufträge ankündigen. So wurde 1915 lediglich noch die EG 513 ausgeliefert. Die 3 bislang fertiggestellten Loks wurden dann nach Niederschlesien überstellt und kamen dort zum Einsatz. Letztlich wurden 1915 die mitteldeutschen Oberleitungen demontiert und das Kupfer der Rüstungsindustrie zur Verfügung gestellt.

Nach Ende des 1. Weltkrieges konnten die Lokomotivbauer erst etwa 1920 die Produktion wieder aufnehmen. Da die B'B'-Güterzugloks nun von ihren Leistungsdaten (Zugkraft und Höchstgeschwindigkeit) her nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit waren, wurde der Auftrag auf 27 Maschinen reduziert. EG 514 bis EG 516 wurden 1920 ausgeliefert und gingen noch nach Schlesien, weil auf den Bahnstrecken in Mitteldeutschland noch kein elektrischer Betrieb wieder möglich war. Alle übrigen Loks EG 517 bis EG 537 wurden dann von der AEG bis zum Jahre 1922 wieder nach Mitteldeutschland ausgeliefert, womit der Auftrag abgearbeitet war. Bis 1923 kamen dann ebenfalls EG 511 bis EG 516 aus Schlesien nach Mitteldeutschland.

Wegen der Besetzung des Ruhrgebietes durch Frankreich ab 1923 kam es zu einer Kohleverknappung für Dampfloks. Dadurch kam es zu einer sehr hohen Auslastung der E-Loks mit zusätzlich immer schwereren Zügen. Bei den Loks EG 511 bis EG 537 führte dies zur Häufung von Ankerschäden der Motoren. Auch die Höchstgeschwindigkeit von nur 50 km/h erwies sich mittlerweile als hinderlich. Die von der AEG im Rahmen der Gewährleistung bei allen Loks ausgetauschten und veränderten Motoranker erlaubten schließlich aber immerhin eine Steigerung der Anhängelast auf 1200 t.

Im Jahre 1926 wurden die Loks EG 511-537 von der DRG in E71 11 - E71 37 umnummeriert, wobei die Nummer E71 12 zwar berücksichtigt, aber nicht vergeben wurde, weil die Lok EG 512 bereits nach einem Unfall ausgemustert worden war.

Bis 1928 waren in Mitteldeutschland leistungsstärkere Loks als die E71 in hinreichendem Umfang vorhanden, so dass die Abgabe zahlreicher E71 an die weniger stark ausgelastete badische Wiesen- und Wehratalbahn vorgesehen wurde. In der Folgezeit waren bis zu 13 Exemplare der E71 auf dieser badischen Bahnstrecke im Einsatz. Da die Maschinen auch im Personenzugdienst eingesetzt wurden, wurde die Höchstgeschwindigkeit durch Änderung der Getriebeübersetzung von 50 auf 65 km/h erhöht und eine elektrische Zugheizung eingebaut. Auch bekamen erst jetzt alle Loks dieses Typs ein Fenster auf der Beimannseite, damit der Lokführer die Abfertigung auf linksseitigen Bahnsteigen beobachten konnte.

Infolge der Weltwirtschaftskrise ab 1929 kam es zu stark sinkenden Beförderungsleistungen, weswegen alle noch in Mitteldeutschland stationierten E71 abgestellt wurden. 1932 kamen dann 2 betriebsfähige Maschinen noch nach Baden sowie weitere ausgemusterte Exemplare als Ersatzteilspender. Ende 1932 waren alle einsatzfähigen E71 in Baden im Einsatz, nämlich 12, während die noch verbliebenen 9 im Bereich der Rbd Halle und der Rbd Hannover z-gestellt waren. Mit Überwindung der Weltwirtschaftskrise kam es 1934 wieder zu einem Mangel an E-Loks, weswegen die 9 z-gestellten Maschinen wieder aufgearbeitet wurden. Die meisten dieser wieder aufgearbeiteten Maschinen kamen jedoch nur noch kurzzeitig zum Einsatz. So kam es zwischen 1935 und 1943 zu weiteren Verschiebungen im Bestand der E71. Ende 1943 befand sich nur noch eine Lok bei der Rbd Halle, 7 in Baden bei der Rbd Karlsruhe und 3 im angeschlossenen Österreich bei der Rbd Linz.

Wegen Kriegsbeschädigungen mussten nach 1945 weitere E71 zunächst abgestellt werden. 2 Exemplare wurden von der SBB aufgearbeitet und waren eine Zeitlang in der Schweiz im Rangierdienst eingesetzt. Ein Exemplar ging 1946 als Reparationsforderung in die Sowjetunion. Die beiden in Österreich verbliebenen E71 wurden gegen in Deutschland verbliebene österreichische Loks getauscht. Ende 1948 befanden sich damit wieder 9 Loks der Reihe E71 im Bw Basel (Baden). Neben zwei Triebwagen ET25 waren dies die einzigen elektrischen Triebfahrzeuge auf der Wiesen- und Wehratalbahn in der folgenden Zeit. Ab 1952 kamen andere Triebfahrzeuge zur Wiesen- und Wehratalbahn, während die Instandhaltung der inzwischen veralteten E71 immer schwieriger wurde, weil es kaum noch Ersatzteile für sie gab und auch ein Teiletausch mit ausgemusterten Maschinen an das Ende des Möglichen kam. Ende 1957 gab es nur noch 3 einsatzfähige E71, während 6 z-gestellt waren. Die letzte E71 wurde dann 1959 ausgemustert.

Der zur Verschrottung vorgesehenen E71 13 wurde ein Drehgestell entnommen, aufgearbeitet und zusammen mit einem 1:10 Modell ab 1960 im Verkehrsmuseum Nürnberg ausgestellt. Aktuell befindet es sich im DGEG-Eisenbahnmuseum in Neustadt/Weinstraße. (Ursprünglich gehörte das Drehgestell gar nicht zur E71 13 sondern zur E71 37.)

Die als Reparationsleistung in die Sowjetunion abgegebene E71 30 war 1952 an das RAW Dessau zurückgekehrt und dort abgestellt worden. Die Lok wurde ab 1961 wieder aufgearbeitet und steht seit 1962 im Verkehrsmuseum Dresden.

E71 19 wurde teilweise wieder in ihren Ablieferungszustand zurückversetzt und steht nach Zwischenstationen nun seit 2011 im DB-Museum Koblenz-Lützel.

Die E71 28 steht seit 1987 im Lokschuppen des ehemaligen Bw Berlin Anhalter Bf und gehört damit dem Deutschen Technik Museum Berlin.

Mit den 3 oben genannten Loks sind immerhin 3 Exemplare der Baureihe E71 museal erhalten geblieben. Das sind mehr als 10% des ursprünglichen Bestandes von 27 Fahrzeugen! Bis auf das noch heute ausgestellte Drehgestell wurden alle übrigen 24 Loks längst verschrottet.

Obwohl ursprünglich für das mitteldeutsche Streckennetz ausgeliefert, hatten die Loks des Typs EG 511 bis EG 537 - inzwischen in E71 umbenannt - ihr Betriebsleben schwerpunktmäßig auf der badischen Wiesen- und Wehratalbahn verbracht.


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RE: Die Urmutter der Krokodile (E71 für Spur 0 Tinplate)

#17 von t.horstmann , 11.12.2019 00:17

C) Einige technische Details der EG 511 - EG 537 (E71)

Als erste Vollbahn in Deutschland war die ca. 23 km lange Nebenbahnstrecke von Murnau bis Oberammergau mit Einphasenwechselspannung elektrifiziert worden. (Nach preußischem Maßstab war es jedoch nur eine Klein- und keine Vollbahn!) Ab 1905 verkehrten dort bereits elektrische Triebwagen im Planbetrieb. Ebenfalls ab 1905 stand dort für Güterzüge die E-Lok LAG 1 (spätere E69 01) zur Verfügung. Auch z.B. die Stadt- und Vorortbahn (also keine Vollbahn!) Blankenese-Altona-Hamburg-Ohlsdorf war mit Einphasenwechselspannung elektrifiziert worden. Zitat aus der Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure 1908: "Auf der etwa 27 km langen Strecke verkehren seit ... 1908 täglich ungefähr 400 elektrische Züge ... Der Betrieb wickelt sich mit außerordentlicher Pünktlichkeit ab ...".

Mit dem elektrischen Betrieb auf Hauptstrecken war man noch nicht so weit fortgeschritten. So waren für die Testung von leistungsfähigeren Lokomotiven von den Bahnverwaltungen zu dieser Zeit meist nur kürzere Streckenabschnitte elektrifiziert worden: Die 1911 eröffnete und mit Einphasenwechselspannung elektrifizierte Strecke Dessau-Bitterfeld gilt als erste elektrifizierte Vollbahn in Deutschland im strengeren Sinne (vgl. vorherigen Absatz). Weiterhin stand z.B. der Versuchsring bei Oranienburg von 1906-1913 zur Verfügung. Die Probeloks für diese Versuche wurden meist von wechselnden Konsortien zweier Hersteller geliefert, wobei der Hersteller des mechanischen Teils i.d.R. bereits Erfahrungen aus dem Dampflokbau hatte und der zweite Hersteller die elektrischen Komponenten beitrug. Dabei wurden die unterschiedlichsten Antriebskonzepte getestet. Bei der Konstruktion der Probeloks hakte es oftmals bei den Absprachen zwischen den beiden Herstellern. Da auch die zuständigen Dezernenten der Bahnverwaltungen ein gewichtiges Wort mitzureden hatten und teilweise wenig sinnvolle Vorgaben machten, kam es immer wieder auch zur Auslieferung von Probeloks, die im praktischen Betrieb komplett versagten.

In dieser Situation beteiligte sich auch die AEG ab ca. 1907 als Elektropartner an Konsortien mit verschiedenen Herstellern für den mechanischen Teil. Die oben geschilderten Probleme traten natürlich genauso auch bei jenen Probeloks auf, an denen die AEG beteiligt war. Im Jahre 1912 waren erfolgreiche Versuche ganz generell immerhin so weit gediehen, dass die Preußische Staatsbahn die Aufträge für eine Serie von 10 Schnellzugloks und zunächst 18 Güterzugloks erteilte. Den Zuschlag für die B'B'-Güterzugloks erhielt die AEG.

Wegen der unglücklichen Erfahrungen bei den Kooperationen mit Partnern für den mechanischen Teil hatte man sich bei der AEG dazu entschlossen, auch den mechanischen Teil selbst zu konstruieren. Da man hier keine eigenen Kompetenzen einbringen konnte, hatte man sich intensiv um international bereits gesammelte Erfahrungen gekümmert. Insbesondere hatte man auf dem Sektor des Lokomotivbaus auch Zugang zu Entwicklungen in den USA, da die AEG 1904 die UEG übernommen hatte, die wiederum ursprünglich eine Tochter der General Electric & Co (USA) war.

Ich will mich im Folgenden auf diejenigen technischen Details beschränken, die für die Fahreigenschaften der Lok am relevantesten sind, da dies am entscheidensten für einen langfristig erfolgreichen Betriebseinsatz war.

Als Antrieb standen damals im Wesentlichen 3 Grundkonzepte zur Verfügung:
a) Ein vielpoliger Großmotor, welcher oftmals bis ins Dach der Lok ragt, läuft mit sehr niedriger Drehzahl, nämlich genau der Drehzahl der angetriebenen Achsen. Der weitere Antrieb erfolgt mit einer Schrägstange meist auf eine Blindwelle. Der Kurbelzapfen der Blindwellenscheibe und die angetriebenen Achsen werden mit einer Kuppelstange verbunden. Dieses Antriebskonzept war zur Konstruktionszeit der EG 511 eigentlich schon veraltet, u.a. weil es damit kaum möglich war, die Massen innerhalb der Lok annähernd gleichmäßig auf die angetriebenen Achsen zu verteilen.
b) Jede Achse wird einzeln durch einen sog. Tatzlagermotor angetrieben. Dieser höhertourig laufende Motor treibt die jeweilige Achse über ein Getriebe an und steht dabei mit der Achse in Verbindung. Der enorme Vorteil ist, dass jegliches Gestänge komplett entfällt. Die Motorenentwicklung war jedoch noch nicht so weit fortgeschritten, dass bei der für die EG 511 geforderten Maschinenleistung hinreichend kleine Tatzlagermotoren konstruierbar gewesen wären.
c) Ein halbhoch gelagerter, ebenfalls höhertouriger Motor treibt eine Blindwelle über ein Getriebe an. Das einstufige Getriebe übersetzt dabei ca. 1:3 bis 1:5 zum Langsamen. Der Kurbelzapfen der Blindwellenscheibe wird hier wieder durch eine kuppelnde Stange mit den angetriebenen Achsen verbunden.

Da man sich bereits zutraute, die für die EG 511 geforderte Maschinenleistung über ein Getriebe auf die Blindwelle zu übertragen, kam für diese Lok das Konzept c) zum Einsatz. Da Blindwelle und Fahrmotor fest mit dem Drehgestell verbunden sind, welches aber gegenüber den angetriebenen Radsätzen abgefedert ist, wurde das vertikale Spiel der Radsätze durch eine sog. Schlitzkuppelstange ausgeglichen. Bei dieser Konstruktion kann sich ein am Kurbelzapfen der Blindwellenscheibe gelagerter Gleitstein (grün im folgenden Bild) in einem Schlitz (gelb) der Kuppelstange auf und ab bewegen und damit das vertikale Spiel ausgleichen:
(Abb.4)

Mit der Anbringung der Zug- und Stoßvorrichtungen an den Drehgestellen hatten sich in den weiter oben beschriebenen Versuchsbetrieben immer wieder große Probleme gezeigt. Die Zug- und Stoßkräfte werden dabei nämlich über die Drehzapfen der Drehgestelle auf den Rahmen des Lokaufbaus geleitet und von dort auf das andere Drehgestell. Dabei muss der genannte Rahmen natürlich sehr stabil sein. Das eigentliche Problem besteht jedoch darin, dass die gesamte Anordnung zu Drehschwingungen neigt und damit zum Schlingern der Lok führt, was wiederum einen sehr unruhigen Lauf zur Folge hat.

Um dies zu vermeiden, hatte man bei der EG 511 die beiden Drehgestelle mit einer vorgespannten Kurzkupplung verbunden. Die Zug- und Stoßkräfte werden dadurch direkt von Drehgestell zu Drehgestell durchgeleitet. Der Kasten des Lokaufbaus ist damit nicht mehr an dieser Kraftübertragung beteiligt.
{Einschub: Solche Loks mit gekoppelten Drehgestellen werden "Brückenrahmenlokomotive" genannt. Der Rahmen muss hier zwar - wie oben erklärt - keine Kräfte mehr übertragen. Jedoch ändern sich zwischen Geradeaus- und Kurvenlauf die Drehzapfenabstände der gekoppelten Drehgestelle. Daher muss dieses Längsspiel zumindest an einem der Drehzapfen ausgeglichen werden. Konstruktiv entspricht dies dem Brückenbau, woher sich mithin der Name ableitet.}
Durch die gepufferte Kopplung der Drehgestelle werden Schwingungen zwischen den Drehgestellen und dem Aufbau vermieden. Außerdem lenkt das in einer Kurve vorauslaufende Drehgestell das nachfolgende bereits an, wodurch sich ein sanfterer Kurveneinlauf ergibt.

Auch spätere Lokbaureihen als die EG 511 - EG 537 (E71) bekamen nicht immer eine Kurzkupplung der Drehgestelle. So sind die E77 und die E91 keine Brückenrahmenlokomotiven, denn die Verbindung zwischen den Drehgestellen dient hier nur als Notkupplung. Bei der E71 und E91 stellt sich daher der mittlere Lokkasten schon bei nur leicht ungleichen Zug- oder Stoßkräften schräg. Die Folge ist natürlich ein enormer Verschleiß an den Radsätzen. Im folgenden Bild ist die EG 5 (spätere E 91) auf der linken Seite angebildet:
(Abb.5)
(Rechts im obigen Bild ist die E 94 gezeigt. Sie ist wieder eine Brückenrahmenlokomotive. Ihr Antrieb erfolgt mit 6 Tatzlagermotoren, da sie ein wesentlich späteres Baujahr als die E 71 hat. Die E 94 gilt als "Deutsches Krokodil".)

Ich habe zwar keine Angaben über die Achslast der einzelnen Achsen der E 71 finden können. Jedoch zeigt das Gesamtgewicht der Lok von 65 t bei höchstens 68 möglichen Tonnen, dass die Achslast sehr gleichmäßig verteilt gewesen sein muss. (Damals war nur eine Achshöchstlast von 17 t zulässig.) Ferner zeigt das nachfolgende Bild, dass die Konstruktion der Lok es ermöglicht haben muss, eine nahezu ideal gleichmäßige Verteilung der Achslast zu erzielen. (Ungleichmäßige Achslasten führen zu einer sehr starken Beanspruchung der Kuppelstange. Und bei stangenlosen Loks mit Einzelachsantrieb neigen schwächer belastete Achsen zum Schleudern.)
(Abb.6)
Im obigen Bild ist die Drehgestellmitte durch eine senkrechte gelbe Linie markiert. Die senkrechte rote Linie daneben markiert etwa den Drehpunkt der Drehgestelle und damit den Auflagebereich des mittleren Lokkastens. Da diese Auflage hinter der Drehgestellmitte liegt, wird die innere Achse stärker belastet als die äußere. Die mit großem Abstand höchste Masse stellt dabei der violett umrandete Transformator dar. Der ebenfalls recht schwere Motor (grün) und die übrigen Aggregate im Vorbau (dunkelblaue Umrandung) liegen jedoch vor der Drehgestellmitte und belasten damit die äußere Achse stärker.

Die Lok war für damalige Verhälnisse recht modular aufgebaut. So konnte die im obigen Bild violett umrandete freistehende Ölwanne mit dem Trafo seitlich entnommen werden, wenn die für die Lok so charakteristischen Kühlschlangen für das Transformatorenöl entfernt worden waren. Über dem Trafo lag die hellblau umrandete Hochspannungskammer mit seitlichen Wartungstürchen. Weiß habe ich die sog. Schützenkammer umrandet (Schütz = Relais). Hinter der sichtbaren Tür befanden sich also viele der elektrischen Aggregate der Sekundärseite des Trafos. Ich habe die Schützenkammer nur rechts im Bild eingezeichnet. Sie ist natürlich auch auf der im Bild linken Seite vorhanden, wobei sich dort der Zugang auf der gegenüber liegenden Lokseite befindet. Braunrot ist der Führerstand umrandet.

Wie bereits gesagt, hatte man sich bei der AEG für diese Lok erstmals eigenständig mit den mechanischen Aspekten des Lokomotivbaus befasst, um die in Auftrag gegebene Lokomotivbaureihe vollständig im eigenen Hause konstruieren und fertigen zu können. Auf diese Weise waren auf dem mechanischen Sektor natürlich keine Erfindungen zu erwarten. Aber man hatte eine Reihe von weltweit modernsten technischen Aspekten zu einem zukunftsweisenden Gesamtkonzept zusammengestellt, welches sich in der Betriebspraxis als recht erfolgreich erwiesen hat. Dieses mechanische Konzept kann als Vorbild für das spätere Gotthardkrokodil SBB Ce 6/8 II angesehen werden, wo es fast identisch wieder auftauchte.

Als Fahrmotoren dienten weiter entwickelte Winter-Eichberg Motoren. Diese Motoren zeichneten sich jedoch - wie auch schon der ursprüngliche Typ des genannten Motors - durch eine extrem hohe Blindstromaufnahme beim Anfahren aus. Die Motoren wurden dabei entsprechend sehr heiß. (Böse Zungen behaupteten damals über Winter-Eichberg-Motoren, dass diese eher als Heizung statt als Antrieb zu gebrauchen seien.) Dies machte sich insbesondere bemerkbar, als die Loks in stärker belastetem Einsatz unterwegs waren. So gab es häufig Motorschäden, die immer wieder zu kostspieligen Reparaturen führten. Letztlich musste die AEG die Loks auf eigene Kosten mit veränderten Ankern auf Reihenschlussmotoren umrüsten, die aber bereits von Anfang an technologisch verfügbar gewesen wären. Da die AEG Winter-Eichberg Motoren ebenfalls bei den Triebwagen ET 831 bis ET 842 sowie bei den Zügen der Hamburger Stadtbahn eingebaut hatte, sind diese Umbauten die AEG teuer zu stehen gekommen. Ausgerechnet auf dem Feld ihrer Kernkompetenz hatte die AEG also versagt! Das mechanische Konzept der Lok war hingegen so gut, dass nachträglich problemlos die Maschinenleistung erhöht werden konnte und durch eine Änderung der Getriebeübersetzung die Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h auf 65 km/h gesteigert werden konnte.


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t.horstmann
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RE: Die Urmutter der Krokodile (E71 für Spur 0 Tinplate)

#18 von t.horstmann , 11.12.2019 00:20

D) Einige technische Details Schweizer E-Loks aus der Epoche der E71

Wenn man den groben Schnitzer mit den Antriebsmaschinen außer Acht lässt, war die E71 also eine durchaus richtungsweisende Konstruktion. Das zeigt sich auch, wenn man die Details von Schweizer E-Loks aus der gleichen Zeit studiert, deren früher Höhepunkt das berühmte "Krokodil" war. Man sollte bei der nachfolgenden Darstellung einiger Probleme bei den Schweizer Loks jedoch keine heimlichen Wertungen zu Gunsten der E71 vornehmen, da bedacht werden muss, dass die E71 mit ihrer begrenzten Maschinenleistung eher für den Einsatz im flachen Land konzipiert war. Auch war die Höchstgeschwindigkeit mit 50 km/h ursprünglich sehr niedrig bemessen. Entsprechend hat die E71 auch nur 4 Achsen, die alle angetrieben sind. Die Schweizer Loks mussten für den Gebirgseinsatz wesentlich leistungsstärker ausgelegt werden. Daher haben die nachfolgenden Loks (bis auf eine Ausnahme) einschließlich eventueller Laufachsen mindestens 6 Achsen.

Ich habe versucht, etwas Systematik in die frühen E-Lok Konstruktionen der Schweiz zu bringen, damit die Angelegenheit nicht zu unübersichtlich wird. Unter 1) werden die Probeloks und die endgültige Serienlok für die Strecken der BLS dargestellt. Unter 2) folgen die 4 Probeloks der SBB für die Elektrifizierung des Gotthard. Und unter 3) handele ich die beiden endgültigen Gotthardloks ab. Unter 3b) findet sich schließlich das für die Krokodile namensgebende Gotthard-Krokodil.

In den Abschnitten 1) und 2) kann ich für die jeweils besprochenen Loks keine eigenen Bilder beisteuern. Ich habe daher bei jeder Lok einen Link auf ein passendes Bild beigefügt, damit man sich schnell einen Eindruck vom Aussehen machen kann.

Ich benutze im Folgenden die neueren Bezeichnungen für die Schweizer Elektrolokomotiven, weil die älteren hier in Deutschland wenig geläufig sind. Viele der folgenden Loks wurden aber noch unter der alten Bezeichnung in Betrieb genommen.



1) Die frühen E-Loks der BLS (Berner Alpenbahn-Gesellschaft Bern–Lötschberg–Simplon)
Die BLS strebte die Elektrifizierung ihrer Bergstrecken noch vor der SBB an. Für den Versuchbetrieb wurde 1910 als Probelok für den Güterzugverkehr die BLS Ce 6/6 ausgeliefert (Bildlink). Die Lok ist also nochmals 4 Jahre älter als die EG 511 (E71). Die Ce 6/6 hatte 2 dreiachsige Drehgestelle, wobei alle Achsen angetrieben waren. Je Drehgestell war eine 1000PS Reihenschlussmaschine montiert. Die Gesamtleistung war damit viel höher als die der EG 511. (Anmerkung: Die BLS Ce 6/6 darf nicht mit der SBB Ce 6/6 14101 verwechselt werden, welche 1919 von der SBB als längst veraltetes Einzelstück aus Deutschland eingeführt worden war!)

Der Antrieb vom Motor auf die Blindwelle erfolgte bei der BLS Ce 6/6 bereits mit einem Zahnradgetriebe. Die weitere Kraftübertragung auf die Radsätze erfolgte mit einem Schrägstangenantrieb.

Die Zug- und Stoßeinrichtungen waren an den Drehgestellen montiert, jedoch besaßen die Drehgestelle keine Kurzkupplung untereinander, wie später etwa bei der EG 511. Stattdessen wurden die Kräfte bei der Ce 6/6 über Längsträger zwischen den beiden Drehgestellen übertragen. (Das Lokgehäuse war fest auf diesen Trägern montiert.) Die genannte fehlende Drehgestellkupplung, ein kurzer Drehzapfenabstand der Drehgestelle sowie eine Massenkonzentration in der Mitte des Lokkastens über den Längsträgern führten dazu, dass Drehgestelle und Lokkasten zum Schlingern neigten. Aus den gleichen Gründen hatte die Lok auch einen sehr harten Bogeneinlauf. Daher musste die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 60km/h herabgesetzt werden. Die Ce 6/6 hatte sich also als Probelok nicht bewährt und wurde daher nie in Serie produziert.

Interessanterweise hatte ein Konsortium von AEG und Krauss im Jahre 1909 die zweite Probelok abgeliefert. Sie hat in der Schweiz nur die ältere Bezeichnung BLS Fb 2x2/3 erhalten (Bildlink). Diese Lok hatte bereits eine vorgespannte Kurzkupplung zwischen den beiden Lokhälften, was ihr gute Laufeigenschaften einbrachte. Damit war sie der Ce 6/6 weit überlegen. Leider hatte man jedoch auf Winter-Eichberg Fahrmotoren gesetzt, und zwar einen Großmotor je Lokhälfte. Diese Motoren hatten eine extrem hohe Blindleistungsaufnahme beim Anfahren, was letztlich der Hauptgrund war, dass die Lok wieder an die Hersteller zurückgegeben wurde.

Wie bereits unter C) erwähnt, war die AEG bei ihrem Einstieg in den E-Lokbau als Hersteller der elektrischen Komponenten an Konsortien für die Produktion von Probeloks beteiligt. Bei diesen Probeloks gab es ganz generell immer wieder Fehlkonstruktionen. Eine dieser Loks war genau die eben behandelte BLS Fb 2x2/3. Da die Fahrmotoren bereits hier der Hauptgrund für die Disqualifikation der Lok waren, ist es wenig verständlich, dass die EG 511 - also die spätere E71 - im Jahre 1914 von der AEG erneut mit lediglich weiter entwickelten Winter-Eichberg Fahrmotoren ausgestattet wurde. Wie bereits unter C) dargestellt, war dies eine kostspielige Fehlentscheidung der AEG!

Obwohl man bei der BLS mit der obigen Fb 2x2/3 bereits eine Lok mit vorgespannter Kurzkupplung getestet hatte, kam man für die Serie nicht auf die Idee, eine solche Kurzkupplung zwischen die Drehgestelle einer Ce 6/6 zu bringen. Stattdessen griff man für die Serie ohne einen vorherigen Prototyp wieder auf ein Starr-Rahmenkonzept zurück. In Serie wurde damit dann im Jahre 1913 die BLS Be 5/7 produziert (Bildlink). Sie war eine Universallok für Personen- und Güterzüge, was durchaus zukunftsweisend war.



2) Die 4 Probeloks der SBB für die Elektrifizierung des Gotthard

2a) Das Herstellerkonsortium MFO und SLM hatte 1919 ledigl. eine abgespeckte Version der zuletzt behandelten BLS Be 5/7 für den Probebetrieb vorgesehen, nämlich die SBB Be 3/5 12201 (hier noch der Bildlink). Als Starr-Rahmenlok musste die Zahl der angetriebenen Achsen für die engen Kurven des Gotthard auf 3 reduziert werden. Das hatte jedoch zur Folge, dass die Lok für das übrige Anforderungsprofil am Gotthard viel zu schwach ausgelegt war. Sie wurde daher nie dort eingesetzt.

2b) - 2d) Die übrigen 3 Probeloks der SBB waren allesamt Drehgestell-Lokomotiven, um die engen Kurven des Gotthard bewältigen zu können. Für diese 3 Loks hatte man sich an den Erfahrungen der BLS mit deren Probelok Ce 6/6 (vgl. oben bei 1) ) orientiert. Inzwischen hatte man aus den Problemen dieser Lok gelernt. Daher waren alle 3 nachfolgenden Lokomotiven als Brückenrahmenloks mit gekoppelten Drehgestellen ausgeführt worden. Das entsprach jetzt dem Konzept der EG 511 (E71) von 1914. Mit dieser Konstruktion waren für alle 3 Loks keine Probleme beim Geradeaus- oder Kurvenlauf zu erwarten.

2b) Die Schnellzuglok SBB Be 4/6 12301 wurde 1919 ausgeliefert (Bildlink). Sie hatte 2 Drehgestelle mit jeweils 2 angetriebenen Achsen und einer Laufachse. Interessanterweise entsprachen Treibraddurchmesser und Achsstand der Antriebsachsen in jedem Drehgestell exakt der EG 511 (E71)! Auch die letzte Stufe der Kraftübertragung erfolgte hier - wie schon zuvor bei der EG 511 - über eine Schlitzstange. Da die Lok jedoch wegen der hohen Antriebsleistung 2 Fahrmotoren je Drehgestell benötigte, mussten Fahrmotoren, Getriebe und Blindwelle aus Platzgründen höher gelegt werden als bei der EG 511 (Blindwelle jetzt 120mm über Radsatzmitte statt nur 70mm). Grundsätzlich hatte die Lok durch den Schlitzstangenantrieb eine sehr gute Laufruhe.

Der auf dem Brückenrahmen montierte Lokkasten hatte ledigl. einen kleinen Vorbau je Seite. Dieses Aussehen hätte natürlich niemals zu dem Spitznamen "Krokodil" geführt. Da die kurzen Vorbauten eher an einen Dutt erinnern, trug die Lok den Spitznamen "Großmutter".

2c) Die zweite Schnellzuglok, die SBB Be 4/6 12302 von 1919 (Bildlink), war sehr ähnlich konstruiert wie die obige. Jedoch wollte man auf die hohen Wartungskosten des Schlitzstangenantriebs verzichten. Um Fahrmotoren, Getriebe und Blindwelle so tief legen zu können, dass die Blindwellenachse auf eine Höhe mit den Treibachsen kam, musste der Achsstand der beiden Treibachsen in den Drehgestellen um 40cm vergrößert werden. (Der Treibraddurchmesser war gleich geblieben.) So konnte auf die Schlitzstange zu Gunsten einer einfacheren Konstruktion verzichtet werden. Die Laufeigenschaften verschlechterten sich damit gegenüber der Be 4/6 12301 jedoch wesentlich.

Der Lokkasten hatte bei dieser Lok keinen Vorbau.

2d) Die Güterzuglok Ce 6/8 I konnte wegen Problemen erst Ende 1919 in Betrieb gehen (Bildlink). Sie war am stärksten an die BLS Ce 6/6 (vgl. 1) ) angelehnt. Die Drehgestelle hatten 3 angetriebene Achsen und zusätzlich noch eine Laufachse. Wieder trieben 2 Fahrmotoren je Drehgestell über ein Getriebe die Blindwelle an. Der Rest der Kraftübertragung erfolgte dann mit einem Winterthur-Schrägstangenantrieb. Leider war es bei der Konstruktion zu einer extrem unterschiedlichen Verteilung der Last auf die angetriebenen Achsen gekommen. Es gab Achslastunterschiede von über 5 Tonnen! Das stellt für die verbindende Kuppelstange eine extreme Belastung dar und war daher für eine Serienlok ungeeignet. Trotzdem hat diese eine Probelok im Laufe ihres Einsatzlebens immerhin 2,5 Millionen Kilometer zurückgelegt!

Der Lokkasten sah ähnlich aus wie bei der obigen Be 4/6 12301 (vgl. 2b) ), hatte also auch 2 kurze Vorbauten, die hier jedoch an den Drehgestellen befestigt waren. Da diese kurzen Vorbauten wie ein Koffer aussehen, hatten sie der Lok den Spitznamen "Köfferlilok" eingebracht. Alternativ war auch der gleiche Spitzname wie bei der Be 4/6 12301 üblich, nämlich "Großmutter".



3) Die beiden Serienloks der SBB für den Gotthard
Da während der Kohlenkrise infolge des 1. Weltkrieges der Dampflokbetrieb stark eingeschränkt werden musste und andererseits noch nicht genügend E-Loks vorhanden waren, hatte die SBB noch vor Auslieferung der 4 Probeloks und ledigl. aufgrund einer Beurteilung der 4 Konstruktionsentwürfe die beiden endgültigen Serienloks bestellt. So kam es dazu, dass die erste Serienlok noch vor der letzten Probelok in Betrieb gehen konnte!

3a) Für Schnellzüge hatte man sich weitgehend an der Probelok Be 4/6 12302 (vgl. 2b) ) orientiert. Die Serienloks gingen ab 1920 als SBB Be 4/6 12303-12342 in Betrieb:
(Abb.7)
Gegenüber der genannten Probelok wurde der Treibraddurchmesser deutlich erhöht. Auch wurde das Gestänge noch etwas geändert. Mit der Kostenersparnis für eine möglich gewesene Schlitzstange hatte man nun auch für die Serie unruhigere Laufeigenschaften in Kauf genommen.

3b) Für die Güterzüge hatte man jedoch auf eine völlige Neukonstruktion gesetzt, weil wegen der Achslastunterschiede der Probelok Ce 6/8 I (vgl. 2d) ) zu große Probleme für die Serie erwartet wurden. Um die Achslast besser verteilen zu können, wurden die Drehgestelle zunächst umgedreht. Damit rückten die Drehzapfen aber enger zusammen. Man hat sie dann letztlich so weit wie irgend möglich auseinander gelegt. Zur weiteren Verbesserung der Gewichtsverteilung wurde der Lokkasten auf Hochspannungskammer und angrenzende Führerstände reduziert. Die übrigen Aggregate wurden auf die beiden Drehgestelle verteilt, welche nur im nötigsten Maße verkleidet wurden, damit der Lokführer eine hinreichende Sicht auf die Strecke behielt. Dieses mechanische Gesamtkonzept entsprach nun genau der EG 511 (E71)! Da die Drehgestellverkleidungen sehr lang und schmal geworden waren, bekam die 1919 ausgelieferte Serienlok SBB Ce 6/8 II im Volksmund den Spitznamen "Krokodil":
(Abb.8)

Da man die Probelok Ce 6/8 I noch nicht getestet hatte, hatte man Befürchtungen, dass der Winterthur-Schrägstangenantrieb Probleme bereiten könnte. Aus diesem Grunde wurde die Schrägstange gegen einen Dreiecksrahmen ausgetauscht, der eine weitere, und zwar frei drehende Blindwelle erforderte. Bei dieser Art von Dreiecksrahmen handelt sich um eine Sonderform der Schlitzstange. Kuppelnde Stangen zu den weiteren angetriebenen Radsätzen waren aber weiterhin zusätzlich erforderlich:
(Abb.9)
Der Aufwand war dadurch also deutlich vergrößert worden. Gute Erfahrungen mit Schrägstangenantrieben bei anderen Loks führten dazu, dass die Krokodile der 2. Serie ab 1926 dann doch Schrägstangenantriebe erhielten (SBB Ce 6/8 III):
(Abb.10)


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RE: Die Urmutter der Krokodile (E71 für Spur 0 Tinplate)

#19 von t.horstmann , 11.12.2019 00:22

E) Die E71 im Modell

Die E71 war bei den Modellbahnherstellern offenbar lange Zeit nicht sonderlich beliebt. Bis in die 1970er Jahre wurden keine größeren Serien aufgelegt. So kam es dazu, dass in der MiBa 6/1970 auf den Seiten 430-435 ein Eigenbauprojekt für die Spur H0 einschließlich mehrerer Maßzeichnungen veröffentlicht wurde:
(Abb.11)
Der Autor des Artikels, ein Herr Nawrocki, hatte sich ein Messingmodell für seine H0 Anlage gebaut. Die Vorbauten hatte der Autor aus Messingblech gefertigt, den Lokkasten mit den Führerständen jedoch aus 3 Einzelteilen Vollmessing (!) herausgefräst. Alle Messingteile waren jedoch nicht verlötet sondern verklebt. Über einen Nachbau in der Spur N wurde in dem Artikel geschrieben: "Wenngleich wohl kaum Aussicht besteht, daß dieser interessante Ellok-Veteran in N nachgebaut wird, bringen wir dennoch die Übersichtszeichnungen auch noch im Maßstab 1 : 160."

Als Kind hatte mich damals die E71 dieses Artikels fasziniert, weil es noch eine E-Lok war, bei der man beim Ansehen erahnen konnte, wie sie funktioniert. Das war bei den modernen Kastenloks überhaupt nicht mehr der Fall. Ich hatte mir die E71 daher für meine Spur N Anlage aus etwas festerem Bastelpapier als Standmodell nachgebaut. An eine Motorisierung war schon wegen der obigen Aussage und vor allem wegen meiner kindlich stark begrenzten Fähigkeiten nicht zu denken gewesen. Auf der Anlage stand die Lok dann auf einem Abstellgleis. Das war durchaus vorbildgerecht, weil zu dieser Zeit auch die Vorbildloks längst ausgemustert waren. Natürlich hatte ich für mein Papiermodell viele deutliche Vereinfachungen gemacht. Heute würde ich sagen, dass diese Vereinfachungen äußerst "tinplategerecht" waren. Bemalt hatte ich die Papierlok mit Tusche. Die Pantographen, die für die E71 so typischen seitlichen Kühlschlangen und die Stangen des Antriebes hatte ich aus Kupferlackdraht zurecht geschnitten und gebogen. (Den Kupferlackdraht hatte ich damals von dem Transformator eines alten Fernsehers vom Sperrmüll abgewickelt.) Der Kupferlackdraht hatte eine kräftig weinrote Farbe, was zwar nicht sonderlich vorbildgerecht war, aber sehr schick aussah. - Die Spur N Anlage habe ich dann in meiner späteren Jugend verkauft, weil die Interessen sich gewandelt hatten. Die Papierlok wollte natürlich niemand haben. Sie fristete dann noch ein paar Jahre ihr Dasein in irgendeiner Schublade, bis ich sie dann entsorgt hatte. Darüber ärgere ich mich natürlich heute. Leider gibt es auch kein Foto von ihr. Aber immerhin hat die Erinnerung an sie dazu geführt, dass meine erste Lok für Spur 0 Tinplate auch eine E71 geworden ist! Das ist zum Einstieg sicherlich ganz sinnvoll, weil diese Lok keine allzu komplizierten Rundformen aufweist, auf der anderen Seite aber optisch doch einiges hermacht.

Erst ab Anfang der 1980er Jahre hat sich die Firma Roco sehr um die E71 verdient gemacht und sie mehrfach für die Spur H0 aufgelegt:
(Abb.12)
Einige weitere H0 Modelle stammen von der Firma Metropolitan. Für die Spur N haben sich die Firmen Hobbytrain und Marks Klein-Kunst ab den 2000er Jahren verdient gemacht.

Für die Spur 0 kenne ich keine in Serie gefertigte E71. Von der österreichischen Firma Spur-1.at kann man die E71 für die Spur 1 bestellen. Es handelt sich um Auftragsfertigung in Finescale-Kleinserie.

Ein Denkmal wurde der E71 in Spur 2 gesetzt. Ein Herr Schartmann hat hier ein wahres Meisterwerk geschaffen. Der verlinkte Forumsartikel sortiert die Beiträge in etwas ungewöhnlicher Form. Wenn man chronologisch lesen möchte, muss man auf der letzten Seite unten beginnen und die Artikel nacheinander von unten nach oben lesen. Zumindest die Bilder muss man sich unbedingt angesehen haben! Es ist der absolute Wahnsinn, was da an Detailtreue geschaffen wurde - ein Freudenfest für jeden Nietenzähler. Man ist glatt geneigt, zu fragen, wozu eigentlich noch Originale in Museen stehen. Leider ist die Lok aus Aluminium gefertigt und geklebt - also nix für Tinplater!

Weitere Modelle für die großen Spuren dürften meines Wissens überwiegend im Eigenbau entstanden sein. Zwei Beispiele für Messingmodelle in Finescale für die Spur 0 hatte Hans-Dieter bereits in Beitrag #8 gezeigt.

Der Baubericht für meine E71 im Tinplatestil wird in weiteren Beiträgen folgen.






Viele Grüße

Thomas



Als Quellen für meine letzten 5 Beiträge habe ich viele Wikipedia-Artikel sowie an gedruckter Literatur überwiegend folgendes Buch verwendet:

- P. Glanert, W.-D. Richter, T. Borbe: Die Ellok-Baureihen E 01 und E 71, VGB Verlagsgruppe Bahn GmbH 2014, ISBN13: 978-3-8375-1258-8

Ich kann dieses Buch jedem wärmstens empfehlen, der sich für die im Titel angegebenen E-Lok Baureihen sowie für die dort umfangreich abgehandelten frühen E-Loks ganz allgemein interessiert! (Meine vorangegangenen Teile B) und C) sind zwar scheinbar sehr ausführlich geraten, stellen jedoch im Vergleich zu dem Buch nur einen grob zusammenfassenden Überblick dar.)

Außerdem:

- Eisenbahn Kurier 7/2013, ISSN 0170-5288, dort S. 46 ff: Hans-Jürgen Wenzel: Die E71 Ellok-Erfolg aus Preußen

Für die Schweizer E-Loks der SBB habe ich an gedruckter Literatur zusätzlich folgendes Buch verwendet:

- C. Jeanmaire-dit-Quartier: Die elektrischen und Diesel-Triebfahrzeuge schweizerischer Eisenbahnen, Fünfter Teil: Die Lokomotiven der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB), Verlag Eisenbahn 1979, ISBN10: 3 85649 036 1



Geschichtlich weiterführend:

- Elektrolokomotive - Geschichte und noch ausführlicher:
- Geschichte des elektrischen Antriebs von Schienenfahrzeugen


 
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RE: Die Urmutter der Krokodile (E71 für Spur 0 Tinplate)

#20 von telefonbahner , 11.12.2019 09:46

Hallo Thomas,
vielen Dank für die ausführlichen Infos zur E 71.
Wenn ich deine Zeilen so lese erfüllt es mich mit Zorn und Wut im Bauch wenn ich dann sehen was mit der ehemals im VMD stehenden, gut gepflegten Maschine gerade geschieht.
Wie dort das technische Erbe behandelt wird und wie man die Leistungen unserer Vorfahren missachtet ist eine Frechheit ohnegleichen!
Die unter schwierigsten Bedingungen in freiwilliger Arbeit äußerlich wieder hergestellte Lok bekam einen Platz im VMD wo sie bis vor kurzem geschützt und gepflegt zu besichtigen war. Auf dem Führerstand konnte man nachempfinden unter welchen Bedingungen die damaligen Lokführer diese gewaltige Maschine bedient hatten.
Nun wurde sie für irgendwelchen Multimediaspielchen geopfert und zum"Vergammeln" ins Depot auf der Zwickauer Strasse geschafft. Wenn man Glück hat und nicht gerade eine nichts bringende Zankerei zwischen allen Partnern des Dampflokfestes entbrennt kann man diese dort zwischen den anderen aus der Sammlung geworfenen Exponaten noch an einem Wochenende im Jahr sehen. Museumsgerecht ist dies dort aber auf keinen Fall zu nennen.
Bleiben also nur noch die im Technikmuseum Berlin und die im Freigelände von Koblenz abgestellten Exemplare zu besichtigen.

Gruß Gerd aus Dresden


t.horstmann, konstanz und Hasi haben sich bedankt!
 
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zuletzt bearbeitet 11.12.2019 | Top

RE: Die Urmutter der Krokodile (E71 für Spur 0 Tinplate)

#21 von t.horstmann , 13.12.2019 21:17

Hallo,

hier folgt nun der erste Teil meines Bauberichtes für die E71 im Tinplatestil. Die weiteren Teile habe ich bis auf das vorgegebene Bildmaterial noch nicht ausgearbeitet, werde sie also in loser Folge erstellen.

Die in den vorangegangenen 5 Beiträgen über die geschichtlichen und technischen Details der Vorbildlok begonnenen Bildnummern möchte ich fortsetzen, beginne hier also mit der Nummer 13. Entsprechend möchte ich auch die Kennzeichnung der Abschnitte mit F) fortsetzen.



F) Baubericht Teil 1: Vorplanungen

Als Kind konnte ich mir die MiBa immer nur in einer öffentlichen Bücherei ausleihen. Auf dieser Grundlage war damals mein bereits zuvor geschildertes Papier-Standmodell der E71 für die Spur N Anlage entstanden. Für mein aktuelles Projekt hatte ich also zunächst keine Unterlagen. Eine antiquarische Beschaffung der MiBa-Ausgabe 6/1970 ist aber überhaupt kein Problem. Hier noch einmal die Seite 431 mit den entscheidenden Maßzeichnungen:
(Abb.13)
Heutzutage ist es sehr einfach, sich das als Arbeitsgrundlage in den passenden Maßstab 1:45 umzukopieren.

Interessanterweise hatte Gerd in Beitrag #20 die E71 als eine "gewaltige Maschine" bezeichnet. Wenn man z.B. im Museum auf Gleisniveau direkt neben so einer Lok steht und sie evtl. sogar von unten besteigen kann, muss zwangsläufig dieser Eindruck entstehen. Wenn man ein entsprechendes Fahrzeug draußen aus der Distanz betrachtet oder vom erhöhten Niveau eines Bahnsteiges aus sieht, werden einem die Abmessungen dann schon eher als "normal" erscheinen, weil es eine gewohnte Perspektive ist. Wenn hingegen eine E71 neben anderen Loks steht, wird sie sogar eher grazil erscheinen. Das ist für die Umsetzung im Modell durchaus wichtig, weil aus Platzgründen bei dieser Lok an mancher Stelle etwas mehr Breite wünschenswert wäre. Wenn jedoch der grazile Eindruck nicht zerstört werden soll, sollte man keinesfalls irgendwo mehr in die Breite gehen! Im Tinplate-Bereich wäre eine zu massige Gestaltung sogar besonders problematisch, weil es viele Loks und Wagen aus der Ära der Vor-Modellzeit gibt, mit denen man trotzdem gerne kombinieren möchte. Die genannten Loks und Wagen der Vor-Modellzeit wurden nämlich als Spielzeug konzipiert und sind maßstäblich meist in allen Dimensionen viel zu klein.

Ich wiederhole noch einmal das Bild mit einem maßstabsgerechten Gotthard-Krokodil SBB Ce 6/8 II über dem Hehr-Nachbau des Märklin Krokodils CCS 66/12920:
(Abb.14)
Auf dem Foto ist das märklingetreue Krokodil vorteilhaft in Szene gesetzt, weil es mehr von der Seite fotografiert ist. Bei einer schrägeren Ansicht erahnt man jedoch die Wahrheit, denn es ist deutlich zu breit:
(Abb.15)
Boshaft formuliert könnte man behaupten, das Krokodil sähe so aus, als hätte es gerade einen ausgewachsenen Büffel verschlungen. (Bitte den Satz nicht übel nehmen! - Ich mag das Krokodil in der Märklinversion trotzdem.) Auch wenn durch die übermäßige Breite der Märklinversion die schlanke Gestalt des Gotthard-Krokodils nicht in jeder Perspektive rüberkommt, schadet dies nicht unbedingt, weil das Gotthard-Krokodil nun wirklich als eine mächtige Maschine angesehen werden kann.

Für die Umsetzung der E71 hat das jedoch zur Konsequenz, dass eine vorherige Stellprobe zur Betrachtung der Breitenverhältnisse sehr sinnvoll ist:
(Abb.16)
Es ist dabei völlig egal, dass zu kleine (etwas zinkpestige) Räder darunter sind. Es dreht sich auch nicht darum, die Kurvengängigkeit an sich zu überprüfen, da ein so kurzes Drehgestellfahrzeug wie die E71 locker durch die engsten Gleisradien kommen wird. Hingegen kommt es vielmehr darauf an, das Verschwenken der Drehgestellvorbauten gegen den Mittelteil zu beobachten. Das Probemodell steht dabei auf einem Lionel 0-27 Gleis des kleinsten Kreisdurchmessers. Das ist noch etwas enger als der Märklin 8er Kreis. Das Bild zeigt nun mit den beiden roten Markierungen, dass beim Verschwenken zwischen dem Äußeren des Vorbaus und dem Äußeren des Mittelteils noch eine Breite von gut 10 mm verbleibt. (Das Messergebnis berücksichtigt bereits einen hinreichenden Spalt zwischen Vorbau und Mittelteil.) Die andere Lokseite ist auf dem Bild nicht sichtbar. Dort ergibt sich ein Maß von knapp 9 mm. Das kleinere der beiden Maße ist dann die für den mittleren Lokkasten realisierbare Außenbreite. - Das passt also! Einer Umsetzung in maßstabsgerechter Breite steht damit nichts im Wege. Es ist jedoch auf dem obigen Bild nicht zu erkennen, dass der äußere Radsatz wegen der breiten Tinplate-Laufflächen nur mit knapper Not von dem schmalen Vorbau abgedeckt werden kann. Das wird noch richtig eng!

Letztlich habe ich die Verschwenkbarkeit des Vorbaus im Vergleich zur Stellprobe noch minimal vergrößert. Die Drehachse der Drehgestelle liegt bei der Stellprobe in Drehgestellmitte, wo sie auch in der endgültigen Ausführung geblieben ist. Für die weitere Planung konnte man jedoch davon ausgehen, dass die Drehachse auch noch 10 mm weiter innen (das hätte dem Vorbild entsprochen!) oder 10 -15 mm weiter außen hätte liegen können, ohne dass Probleme entstanden wären.

Als Bauzeit hatte ich aufgrund früherer anderer Basteleien neben dem Beruf mit ca. 2 Jahren gerechnet, da ich weder mit der Tinplate-Blechverarbeitung noch mit einer Drehbank Erfahrungen hatte. Dass die Blecharbeiten nun schon nach 5 Monaten fertig geworden waren, liegt aber nur daran, dass die Sache sehr viel Spaß gemacht hat. Man geht dann häufig und lange ans Werk. ... Jedoch steht die Lackierung noch aus!

Als Tinplate-Radsatz passt das Replika-Rad mit Exzenter für Märklin R 880 oder 890. Es hat einen Durchmesser an der Lauffläche von ca. 29 mm. Ideal wären im Maßstab 1:45 rechnerisch 30 mm (1350/45). Da die Tinplate-Spurkränze jedoch sehr hoch sind, fließen diese optisch mit ein. Das genannte Replika-Rad hat damit doch einen etwas zu großen Durchmesser, eignet sich aber trotzdem hervorragend.

Die 8 Räder, 2 Mittelschleifer (ebenfalls für R 880/890), 2 Pantographen H1, 4 Treppen für 1841, Galeriestangenhalter und die Achsen mit 3mm Durchmesser hatte ich mir daraufhin bei Herrn Becker in Flensburg bestellt. Die Galeriestangenhalter habe ich letztlich doch nicht benutzt, da sie mir zu klobig waren. 2 Fixkupplungen und 2 Steckkontakte an der Lok für die Wagenbeleuchtung hatte ich noch in meiner Ersatzteilkiste.

Ein weiteres wichtiges Teil waren jetzt noch passende Blindwellenscheiben. Auf der Suche nach etwas Geeignetem bin ich beim kompletten Durchstöbern eines Baumarktes auf die nachfolgende M6 Rändelschraube gestoßen. Sie hat einen Rändeldurchmesser von 24 mm (im Bild links):
(Abb.17)
Ursprünglich wollte ich die Blindwellenscheibe nicht mit einem Kasten verkleiden. Diese Vereinfachung wäre tinplategerecht gewesen und hätte der Märklin CCS 66/12920 entsprochen. Eine Legeprobe gemäß dem rechten Bildteil zeigte jedoch ein Problem auf. So verdeckt das Gleis (grau) den unteren Teil des Spurkranzes. Und der Vorbau der E71 (grün) verdeckt einen nicht unerheblichen Teil des äußeren Radsatzes. Da der mittlere Lokkasten (schwarz) breiter als der Vorbau ist, wird er in den meisten Perspektiven den inneren Radsatz optisch weit abdecken. Damit hätte die große Gefahr bestanden, dass die Lok einen 6-achsigen Eindruck hinterlassen würde. Das geht bei einer E71 natürlich gar nicht.

Was bei der E71 ein Problem wäre, ist interessanterweise bei der Märklin CCS 66/12920 offenbar absolut beabsichtigt:
(Abb.18)
Dieses Krokodil hat nämlich je Drehgestell eine angetriebene Achse zu wenig! Bei einer nicht zu genauen Betrachtung wird diese Lok als 6-achsig plus insgesamt 2 Vorläufer durchgehen. Und wenn das Auge die Blindwellenscheiben sucht, wird es sie finden!

Ich habe letztlich für meine E71 Rändelschrauben mit einem Rändeldurchmesser von 20 mm verwendet und im Internet sogar solche aus Messing gefunden (Abbildungen später). Damit keine breite und damit unschöne Lücke zwischen den Radsätzen und der Blindwellenscheibe entsteht, war ein Abdeckkasten für die Scheiben nun zwingend geworden. Wegen fehlender Erfahrungen in der Weißblechverarbeitung hatte ich diesen engen Kasten durchaus als Hürde angesehen, da sich die Blindwellenscheiben mitdrehen sollten. - Es ging aber nachher doch viel besser als gedacht.



Im nächsten Beitrag wird es dann um die Restplanungen insbes. des Antriebes gehen. Der vorstehende Planungsteil ist wegen der vielen theoretischen Vorüberlegungen wieder sehr textlastig geworden. Falls Euch das nicht gefällt, sagt es mir bitte. Durch Weglassungen könnte ich mich natürlich viel kürzer fassen! Auch bestünde auf Wunsch die Möglichkeit, Schwerpunkte anders zu setzen.

Viele Grüße

Thomas


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RE: Die Urmutter der Krokodile (E71 für Spur 0 Tinplate)

#22 von Eisenbahn-Manufaktur , 14.12.2019 08:32

Hallo Thomas, toller Bericht zu einer tollen Lok! Chapeau!

Die CCS ist auf meiner Anlage nicht fahrbar, sie würde gnadenlos die Bahnsteige abräumen. Nachdem ich vor kurzem eine Hehr-CCS zur Reparatur auf dem Werktisch hatte, und bei der Probefahrt dieses Manko entdeckte, habe ich den Gedanken fallen gelassen, irgendwann mal eine CCS anzuschaffen .

Mal zum Vergleich: Breite einer HR 66/12920: ca 65 mm, Breite einer CCS: ca. 85 mm!!


Man nehme ein Stück Blech, und schneide alles weg, was nicht nach Lokomotive aussieht!

Klaus


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RE: Die Urmutter der Krokodile (E71 für Spur 0 Tinplate)

#23 von t.horstmann , 14.12.2019 09:26

Hallo Klaus,

aus dem Lichtraumprofil ergibt sich im Vorbild eine sog.Fahrzeugbegrenzungslinie bzw. das Lademaß. In Deutschland ist schon lange eine max. halbe Fahrzeugbreite ab der Mittellinie von 1575 mm gültig (Gesamtbreite also max. 3,15 m). Das entspricht im Maßstab 1:45 des Modells dann einer Breite von 70 mm. Die meisten Vollbahn-Lokomotiven des Vorbildes sind allenfalls unwesentlich schmaler.

Das Hehr-Krokodil (wohl exakt dem Vorbild von Märklin folgend) hat übrigens mit den sehr wuchtig ausladenden Griffstangen an den Führerstandsaufstiegen sogar eine Breite von gut 92 mm! Die Ursache dafür ist zunächst der Antrieb, welcher im Inneren des mittleren Lokkastens mit den Drehgestellen immerhin so weit ausschwenken kann, dass das CCS-Krokodil sogar durch den Märklin 8er Kreis kommt! Nach außen müssen dann auch die Aufstiegsleitern des mittleren Lokkastens dem Fahrwerk einen entsprechenden Platz einräumen. Die sehr wuchtig ausladenden Griffstangen sind jedoch total übertrieben. Da hätten wenigstens ein paar mm eingespart werden können.

Hingegen sind die meisten anderen Märklin Loks - selbst aus der sog. Modellzeit - dem Vorbild gegenüber etwas zu schmal gestaltet.

Viele Grüße

Thomas


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RE: Die Urmutter der Krokodile (E71 für Spur 0 Tinplate)

#24 von Schwelleheinz , 14.12.2019 10:10

Hallo Thomas,

habe ich mir letztens mal geleistet


Grüße vom Hochrhein,

Hans-Dieter

HO Betriebsdiorama Bahnhof Säckingen um 1960 in Wechselstrom


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RE: Die Urmutter der Krokodile (E71 für Spur 0 Tinplate)

#25 von t.horstmann , 14.12.2019 16:30

Hallo,

hier nun der nächste Teil des Bauberichtes.



G) Baubericht Teil 2: letzte Vorplanungen

In der weiteren Vorplanung musste nun natürlich noch die Frage des Antriebes geklärt werden. Die Verwendung zweier moderner Permanentmagnetmotoren (einer je Drehgestell) wäre natürlich sehr einfach gewesen. Das fand ich aber etwas unpassend. Zwei Motoren der Märklin-Baugröße 66/12920, wie sie etwa in dem Märklin CCS-Krokodil Anwendung gefunden haben, hätten niemals gepasst: Die nötige Schwenkbarkeit dieser Motoren zusammen mit dem Drehgestell hat nämlich das CCS-Krokodil so breit werden lassen, wie es ist! Die Märklin-Baugröße 12930 (z.B. TWE oder Adler) hätte sich vielleicht irgendwie unterbringen lassen, stand mir aber nicht zur Verfügung.

Unser Forumsmitglied Bernd (Bernd Heiligs Blechle) verwendet gerne Märklin H0 Motoren, die sich immer wieder als hinreichend leistungsstark erwiesen haben. Aus dem Forumsthread Dörfler-Adler -Versuch einer Dokumentation- (dort Beitrag #5 und #6) war mir die Verwendung eines Märklin 800er Antriebes für den Dörfler-Adler geläufig. Das Problem des Dörfler-Adlers hatte sich darin gezeigt, dass die dort gewählte Montageart des 800er Antriebes eine recht windige Angelegenheit war. Außerdem übersetzt das Getriebe des 800er Antriebes nicht sehr stark zum Lamgsamen. Die Folge war ein Hochgeschwindigkeits-Adler. Auch für die E71 wäre das alles andere als vorbildgerecht gewesen, da das Vorbild nur eine Höchstgeschwindigkeit von urspr. 50 km/h hatte. So hatte ich mich dazu entschlossen, einen stärker zum Langsamen übersetzenden Märklin H0-Antrieb 211360 zum Einsatz zu bringen. Das ist z.B. das Drehgestell der V200 (3021):
(Abb.19)
Ein geeigneter Montageort und eine geeignete Montagemöglichkeit waren natürlich noch zu suchen. Den gezeigten Antrieb hatte ich sehr günstig mit einer alten V200 erworben. Er erwies sich jedoch als salopp gesagt recht "ausgelatscht". Das wollte ich meiner neuen Lok dann doch nicht antun und habe den Antrieb dann doch in der V200 belassen. Später habe ich mir daher für die E71 noch zwei nagelneue Antriebe 211360 gegönnt.

Nun waren Legeversuche auf der Maßstabszeichnung der E71 nötig:

1) Im Vorbau der E71 ist extrem wenig Platz. Wenn der gezeigte Antrieb dort montiert wird, muss er sehr tief eingebaut werden. Das ist nur möglich, wenn die Fahrwerksplatinen so weit auseinander gelegt werden, dass der Antrieb dazwischen verschwinden kann. Für die äußere Achse der Lok lässt sich dann aber kein Zahnrad mehr unterbringen.

2) Wenn der Antrieb so weit innen auf dem Drehgestell montiert wird, dass er im mittleren Lokkasten verschwinden wird, kann er natürlich höher gelegt werden. Da die Lok zur Mitte des mittleren Lokkastens jedoch eine absolute Wespentaille hat, gibt es auch dort starke Limitationen, weil der Antrieb beim Schwenken des Drehgestells am Gehäuse anstoßen kann. Es ergeben sich 2 Möglichkeiten:
2a) Wenn die Zahnräder in der üblichen Weise außen an den Platinen montiert werden sollen, läge der Antrieb einseitig so weit außen, dass die Lok nicht mehr durch den Märklin 8er Kreis käme. - Keine gute Idee.
2b) Eine Montage des Antriebes mittig zwischen den Platinen erlaubt das Durchfahren des 8er Kreises, jedoch nur wenn der Drehpunkt des Drehgestells über dem Antrieb liegt. - Das erfordert eine aufwendigere Konstruktion. So hätte der mittlere Lokkasten an seiner Unterseite in geeigneter Weise für die Drehgestelle ausgeschnitten werden müssen. Eine hoch gelegene und ausreichend stabile Lagerung für den über dem Antrieb liegenden Drehzapfen wäre ebenfalls nötig gewesen. Das hätte zur Folge gehabt, dass ich Drehgestelle und mittleren Lokkasten gleichzeitig hätte konzipieren müssen. Da mir die nötigen Erfahrungen in der Weißblechverarbeitung noch fehlten - ich also nicht sicher sein konnte, alles so umsetzen zu können, wie angedacht - habe ich von dieser Lösung lieber Abstand genommen. Im Nachhinein kann ich jedoch feststellen, dass es wohl eine realisierbare Option gewesen wäre.

Letztlich habe ich mich also doch für das Konzept 1) entschieden. Wenn dabei schon die äußere Achse des Drehgestells kein Zahnrad bekommen kann, kriegt es die innere auch nicht. Der Antrieb erfolgt damit absolut vorbildgerecht mit einem zwischen Blindwelle und äußerer Achse liegenden Antrieb nur auf die Blindwelle selbst und von dort weiter mit den Kuppelstangen auf die Räder. Hierbei ist natürlich zu bedenken, dass die Kraftwirkungen im Verlaufe einer Radumdrehung immer (zweimal) zwischen der linken und der rechten Drehgestellseite pendeln. Da ich alle Achsen in Buchsen laufen lassen wollte, sollten die sich ständig verlagernden Kräfte aber wohl kein Problem darstellen, wenn ich alles hinreichend exakt anfertigen würde. (Beim Vorbild funktioniert das ja auch.) Sogar die bereits mehrfach gezeigte E71 von Roco im H0-Maßstab benutzt dieses Antriebsprinzip bei einwandfreier Funktion und das sogar, obwohl das Konzept dort recht schlackerig und mit viel Spiel ausgeführt ist!



Die übliche Ausstattung eines Heimwerkers lag mir vor. Zusätzlich benötigte Werkzeuge:

Fräsen: Einen Handmotor zum Fräsen und Schleifen (salopp "Dremel") hatte ich bereits. Dafür habe ich mir noch sehr fein gezahnte Hartmetallfräsen in zwei Durchmessern neu besorgt und ferner ein Päckchen Nylon-Trennscheiben.

Sägen: Für die Laubsäge war ein Nachschub an Metallsägeblättern der Größe 1 erforderlich. Eine Gehrungssäge hatte ich und habe sie auch benutzt. Das war zwar sinnvoll, aber nicht unbedingt erforderlich (dazu an späterer Stelle noch ein paar Worte).

Feilen: Hierfür hatte ich mir einen neuen Satz Schlüsselfeilen sowie einen Satz Nadelfeilen besorgt.

Bohren: Einen Bohrständer mit präzisem Kreuztisch musste ich mir anschaffen. Außerdem waren diverse Reibahlen erforderlich, und zwar nicht nur Kegelreibahlen sondern auch gerade Präzionsreibahlen (für präzise einzuhaltende Lochdurchmesser) in einigen verschiedenen Größen. Gewindeschneider lagen mir bereits vor.

Drehen: Eine Drehmaschine musste ich mir nun endlich gönnen. Die erworbene Maschine war bereits mit Dreibackenfutter und Auffangwanne für Späne ausgestattet. Zusätzlich sind ein Vierbackenfutter mit einzeln verstellbaren Backen und eine Messuhr mit Magnetfuß erforderlich. Nicht fehlen darf natürlich ein Bohrfutter für den Reitstock. Als Anfängerfehler hatte ich mir einen ganzen Satz Drehmeißel besorgt. Die weitaus meisten davon habe ich jedoch gar nicht benötigt.

Löten: Mein bisheriger Elektroniklötkolben (16 W) hatte zwar bisher sogar für das Anlöten von Kabeln an nicht zu massive Bleche oder auch das Befestigen kleinerer Blechwinkel genügt. Für dieses Projekt war aber eine höhere Leistung erforderlich. Ich habe mir daher eine 80 W Lötstation gekauft sowie einen kleinen Gas-Lötbrenner. Als Lot habe ich nur solches mit säurefreier Flussmittelseele verwendet.



Materialien:

Weißblech: Nachdem ich kein Weißblech mit 0,4 mm Stärke auftreiben konnte, habe ich mir die beiden Stärken 0,3 und 0,5 mm besorgt. Je nach geforderter Stabilität habe ich dann eine der beiden Stärken verwendet. Das hat sich sehr gut bewährt. Ich werde das daher auch in Zukunft so weiter handhaben.

Messingblech: Für größere Blechstärken habe ich Messingblech von 1,0 und 1,5 mm Stärke verwendet.

Neusilberblech: Da ich keine Möglichkeit zum Vernickeln habe, habe ich mir noch Täfelchen von Neusilberblech in den Stärken 1,0 und 1,5 mm besorgt. (Auch Neusilber ist übrigens sehr gut lötbar.)

An Kleinkram sind noch einige vorgefertigte Profile etc. erforderlich, z.B. Messing-Halbrundprofile für die Rahmen von Fenstern.



Im nächsten Teil geht es dann endlich mit der praktischen Ausführung weiter.

Viele Grüße

Thomas


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